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God is a Steuerberaterin

Nachts träume ich davon, Steuerberaterin zu sein. Dann wüsste ich immer, welche Fristen gelten, ohne panisch nach deren Versäumnis zu googeln, ich würde ein gesundes Verhältnis mit dem Finanzamt pflegen und meine anfallende Umsatzsteuer mit Leidenschaft berechnen.

Kurz: Ich wäre eine deutsche Göttin.

Dass ich ausgerechnet einmal eine Ode an die Bürokratie schreiben würde, hätte ich selbst nicht gedacht, aber man soll seine Feinde bekanntlich näher an sich ranlassen, als seine Freunde – also habe ich dieses Jahr kurzerhand beschlossen, mich mit ihr anzufreunden.

Denn die Bürokratie nicht nur zu ertragen, sondern sie besser kennenzulernen, sich mit ihr zu arrangieren, und ja, sie sogar schätzen zu lernen, ist im besten Falle heilsam und nur im schlimmsten Falle Knast.

Die Bürokratie ist in meinem Leben eine der wenigen fixen Konstanten. Deshalb muss ich lernen, mit ihr umzugehen – als wäre sie meine Mutter. Ich weiß: geht es meiner Bürokratie gut, geht es meinem Unternehmen gut. Halte ich Fristen ein, bin ich brav, bin ich ordentlich, habe ich meinen Teller aufgegessen.

Jedes Mal, wenn ich meine USt überweise, kann ich einen Punkt auf meiner Things-To-Worry-About-Liste abhacken und wie bei einer Sportübertragung live dabei zusehen, wie das Geld von meinem Konto zum Staat wandert. Es hat so etwas Beruhigendes, Befriedigendes, dass dieser Prozess immer da sein wird. In guten, wie in schlechten Zeiten, bis dass der Tod uns scheidet.

Diesen Fakt habe ich anerkannt und deshalb angefangen, stets das Kleingedruckte in Verträgen zu lesen. Ich bekomme Belege und sortiere sie in eine Mappe ein, ich behalte jeden Ausdruck und werfe selbstverständlich einen Blick auf die Mehrwertsteuer. Nach jeder Bestellung auf Amazon speichere ich die Rechnung in einem Ordner für später.

Es ist das unternehmerische Ich, das überhandgenommen hat.

Keine Bürokratie, keine Unternehmerin.
Keine Bürokratie, kein Gerichtsprozess.
Keine Bürokratie, keine Arbeitslosigkeit.
Keine Bürokratie, keine Neustarthilfen.
Keine Bürokratie, keine Selbstständigkeit.
Keine Bürokratie, kein Herzinfarkt.

Als ich noch ein normaler Mensch war, der essen ging ohne hinterher den Bewirtungsbeleg anzufordern, einzuscannen und abzusetzen – ja, wer war ich da überhaupt? Eine Bürgerin? Eine Konsumentin? Als ich noch nicht ständig wirtschaftlich gedacht habe, und meine Schreiburlaube nicht soweit im Voraus gebucht habe, um sie für ein ganz bestimmtes Steuerjahr geltend zu machen?

Als ich nicht jedes Tech-Gadget als INVESTITION in mein Unternehmen betrachtete?

Als ich noch nicht 4000 Euro zurückzahlen musste, aufgrund einer angeblichen Zweckverfehlung nach § 49 Abs. 3 Nr. 1 VwVfG.

Als ich von all dem keine Ahnung hatte.
War ich Angestellte.

Die zweimal jährlich in den Urlaub flog, wenn die Urlaubsvertretung es erlaubte.

Ich hatte kein Kopfweh.
Ich war ein Kind.

* * *

Warum haben alle so viel Angst vor der Bürokratie, wenn sie im Grunde unsere Demokratie zusammenhält?

Gäbe es keine Formulare, gäbe es keine Fristen und dann gäbe es auch keine Zahlungen von niemandem an niemanden. Und wer würde das schon wollen?

Gäbe es keine Bürokratie, könnten wir uns nicht in unserer Freizeit stundenlang in Dokumente einlesen, die so verfasst sind, dass sie ein Jurastudium voraussetzen und dann wäre die Welt fast schon wieder ein bisschen zu gerecht.

Also seit ich mich mit der Bürokratie angefreundet habe, sind meine Steuerberaterin und ich beste Freundinnen.

Ich versuche, nicht mehr bei jedem Bescheid die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Keine Panikattacke zu bekommen bei einem gelben Umschlag im Briefkasten.

Ich bin jetzt erwachsen.
Ca. 5 Prozent meiner wachen Lebenszeit bin ich komplett frei.

Von Bianca Jankovska

Bianca Jankovska ist Kommunikationswissenschaftlerin und Wirtschaftsjuristin by Abschluss, Autorin und Philosophin by heart. Sie ist Gründerin des Magazins Groschenphilosophin - das erste Mag zur politischen und psychosozialen Dimension von Social Media, Spätkapitalismus und Popkultur.