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Lasst sie in Ruhe! Über das kapitalistische Freundlichkeits-Diktat

Warum verlangen wir, dass uns Menschen in Scheißjobs auch noch freundlich beim Konsumieren zulächeln?

Je schlechter die Bezahlung, desto freundlicher muss der Arbeitnehmer der frechen Kundschaft ins Gesicht lächeln. So lautet die Regel, auf die wir uns im Kapitalismus … irgendwie geeinigt haben. Total fair, oder?

Topverdienende männliche Manager dürfen so grantig in die Webcam schauen, wie sie wollen. Day in, day out. (Oftmals) weibliche Kassiererinnen an der Armutsgrenze hingegen haben gefälligst zu lächeln, während sie für 12 Euro Stundenlohn das Kleingeld gelangweilter Vorstadt-Pensionistinnen zählen. Sonst wird der Manager gerufen, sonst wird sich gleich oben beschwert, weil wie kann es denn sein, dass diese Dame nicht 8 h am Tag die Mundwinkel nach oben getackert hat, obwohl es ihr hier doch so gut geht? Obwohl sie doch froh sein sollte, ÜBERHAUPT einen Job zu haben?

Es macht bestimmt Spaß, 8 Stunden am Tag, 40 Stunden die Woche die gleiche, monotone Tätigkeit auszuführen und Waren zu scannen, da kann eins schon grinsen und Gelassenheit ausstrahlen, auch, wenn es dann nach Feierabend schon zu spät ist, um selbst noch Supermarkteinkäufe zu tätigen.

Nein, im Ernst. Immer wieder muss ich beobachten, wie sich Menschen über unfreundliches Arztpersonal beschweren. Ja, warum hat die so grimmig geschaut? Warum hat sie mir das Rezept … hingelegt?

Ich frage: Habt ihr schon einmal überlegt, wie es für die Frau hinter dem Schalter sein muss, den ganzen Tag nichts anderes zu sehen, außer grüne Wandfarbe, kranke Patienten und ein ständig bimmelndes Telefon?

Klar, die zwei Minuten, in denen man selbst am Schalter steht und wartet, bis man etwas von seinem Gegenüber bekommt, können einem schon unendlich lange vorkommen. Mein herzliches Mitleid!

Aber was ist mit den restlichen 7 Stunden und 58 Minuten, die die Angestellte nicht mit einem selbst zu tun hat, sondern mit anderen, lästigen Kunden. Kunden, die die Augen verdrehen, weil das Kartenlesegerät nicht funktioniert; Kunden, die stressen, weil sie ganz dringend irgendwo hinmüssen; Kunden, die ihre Kundenkarte oder eCard vergessen haben und den Fakt, dass sie diese vergessen haben an anderen auslassen?

Nein. Niemand denkt daran, wie sich die Frau hinter dem Schalter am Bahnhof fühlt, oder an der Schwimmbadkasse. Denn je schlechter die Bezahlung, desto freundlicher muss der Arbeitnehmer der frechen Kundschaft ins Gesicht lächeln. Widerspruch verboten.

So lautet die Regel, auf die wir uns im Kapitalismus irgendwie geeinigt haben. Und weil die Frau, die da sitzt, vermutlich selbst daran schuld ist, dass sie da sitzt – Stichwort „Hätte sie doch was ordentliches gelernt!“ – bestrafen wir sie zusätzlich mit unseren Blicken und zeigen ihr, dass sie nicht gut genug ist für uns, und unseren Anspruch.

Nein, im Ernst. Ich finde: Das Freundlichkeits-Diktat in der Service-Industrie gehört abgeschafft.

Mir ist es egal, ob ich zu meinem Coke Zero oder meinem Gin Tonic ein „Lächeln geschenkt bekomme“, weil ich weiß, dass es nicht gratis ist.

Lieber ist mir, wenn die Person ihre emotionalen Ressourcen für Menschen aufspart, die ihr etwas bedeuten.

Mir ist es egal, ob ich beim Kauf meiner in Bangladesch hergestellten Unterhosen freundlich bei der Kasse begrüßt werde. Hauptsache ich kann die Transaktion durchführen, das passt schon, auch wenn es länger dauert. Niemand muss mir auf Krampf einen WUNDERSCHÖNEN Tag wünschen.

Ich weiß, dass die Dame an der Rezeption meines Hausarztes eigentlich supernett ist, weil ich bei ihr schon mehrmals Blutabnehmen war. Ich habe ihr Herz heimlich beobachtet. Es ist groß – aber sie muss mir das nicht jedes Mal beweisen, wenn ich mir ein Rezept abhole. Sie kann mich ignorieren, sie muss mir nicht in die Augen schauen. Sie kann das Rezept einfach hinlegen. I don’t care.

Je egaler uns „Kunden“ das Lächeln des Personals ist, je weniger wir uns unseren Missmut ansehen lassen und ihn an den lohnabhängigen Beschäftigten auslassen, desto entspannter können sie einfach ihren Job machen, ohne Angst zu haben, aufgrund fehlender „Manieren“ rausgeschmissen zu werden.

Also: Don’t call the manager. Und lasst sie in Ruhe!
Alles andere ist Klassenverrat.

Foto von Cedric Fauntleroy

Von Bianca Jankovska

Bianca Jankovska ist Kommunikationswissenschaftlerin und Wirtschaftsjuristin by Abschluss, Autorin und Philosophin by heart. Sie ist Gründerin des Magazins Groschenphilosophin - das erste Mag zur politischen und psychosozialen Dimension von Social Media, Spätkapitalismus und Popkultur.