Nach knappen drei Monaten thx bye fällt es langsam auf: Bislang keine einzige Anfrage von einem Cis-Heten-Mann. Und es gab viele Anfragen. Ich glaube, ich hatte ungefähr so viele Anfragen von Katharinas, wie es Christians in DAX-Vorständen gibt. Nichts gegen Katharina, ist ein schöner Name. Aber verdächtig war es schon.
Natürlich habe ich mich dann gefragt, woran das liegt. Ist lila eine weiblich-konnotierte Farbe? Ist die Font irgendwie zu … soft? Strahlt mein Profil eine gewisse „weibliche Energie“ aus, die erfolgreiche Männer automatisch abturnt?
Oder brauchen Männer im Erwerbsleben ganz einfach … keine Hilfe?
So wie Männer (in der Regel!!111) auch weniger bereit sind, Therapie zu machen, weniger bereit sind, emotionale Arbeit zu leisten und weniger bereit sind, sich bei einer falschen Entscheidung nach innen zu wenden, statt die Schuld reflexartig auf andere zu schieben?
Dabei kenne ich einige Männer, die gerne kündigen würden oder mit ihrem Arbeitsplatz unzufrieden sind. Erst letztens bin ich mit zwei hochambitionierten Exemplaren an einem Tisch gesessen, die sich nach dem dritten alkoholischen Getränk auch mal getraut haben, ein bisschen aus dem Nähkästchen zu plaudern. Jeden Tag bis 19 Uhr im Büro sitzen, sechs Kunden-Calls pro Tag, dazu strenge Deadlines und strikte Vorgaben von oben. Und von einer gesunden Fehlerkultur konnte bei diesem Unternehmen auch nicht die Rede sein. Aber Überlastung? Nein, also von Überlastung haben sie nicht gesprochen, eher von einem … kompetitiven Arbeitsumfeld. Von Chancen und Herausforderungen.
Wie die beiden über Arbeit gesprochen haben, hat bei mir noch lange nachgehallt. Während viele Kolleginnen ihren Selbstwert bereits ganz gut von der Lohnarbeit entkoppelt haben, sind ihre männlichen Pendants irgendwie in den Neunzigern steckengeblieben. Buchen Männer also deshalb keine Beratung, weil es ihnen schon im privaten Umfeld unangenehm ist, über den Druck im Office zu sprechen? Weil sie Angst haben, verurteilt zu werden? Buchen Männer deshalb keine Beratung, weil sie sich lieber ins Burn-Out arbeiten, statt ihre Bedürfnisse zu erkennen? Halten sie an toxischer Maskulinität fest, damit sie später sagen können: Ich habe durchgehalten!
Ich, ich war stark genug für den Kapitalismus.
Ich bin der festen Überzeugung, dass Kündigen nicht nur etwas für Frauen ist. Ja, sogar rein rechnerisch müssten eigentlich mehr Männer in meine Beratung kommen, denn laut der Statistik der Bundesagentur für Arbeit gingen 2021 in Deutschland 21,4 Millionen Männer und „nur“ 18,9 Millionen Frauen einer Erwerbsarbeit nach.
Ob ich Männer anders berate? Jein.
Da wir immer noch im Patriarchat leben, kommt zu einer herkömmlichen Kündigungsberatung natürlich noch mal eine Extraschicht an Themen wie „Wie sag ich’s meinem Tradwife?“, „Darf ich als Mann in Teilzeit wechseln, ohne von meinen Kollegen verhöhnt zu werden?“ oder „Ich kann doch jetzt nicht Hausmann werden“ dazu. Ich verstehe das, und auch dafür bin ich da. Ohne zu verurteilen, zu belächeln oder zu besänftigen.
Denn ich möchte keine „weibliche“ Kündigungsberatung machen. Nur, weil ich eine Cis-Heten-Frau bin, heißt das nicht, dass ich mich nicht auch in Männer hineinversetzen kann. Immerhin bin ich Tochter! Sogar mein bester Freund ist: ein Mann! Also wenn das nicht reicht, weiß ich auch nicht.
Spaß beiseite. Damit wir, liebe Männer, uns nicht missverstehen, sage ich es zum Abschluss nochmal laut: Männer dürfen sich beraten lassen, wann und wie sie am besten kündigen. Sie dürfen davon träumen, was danach kommt. Männer sind nicht „schwach“, weil sie mit ihrer Situation am Arbeitsplatz überfordert sind. Männer dürfen auch „softere“ Coaching-Angebote in Anspruch nehmen, die nichts mit Erfolgsschwurbelsätzen a la „In dem Wort ‚Umsatz‘ steckt ‚umsetzen‘“ zu tun haben.
Wenn du das liest, bist du vermutlich trotzdem: eine Frau. Also, liebe Freundinnen, Partnerinnen, beste Freundinnen, Kolleginnen, Töchter und Enkelinnen: Leitet diesen Artikel an einen Mann weiter, der kündigen sollte.
I am ready! Hier ist mein Terminkalender.