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4 Sätze, die dir deine Eltern über die Arbeitswelt eingepflanzt haben

Wir leben nicht mehr 1990, eine Festanstellung bedeutet nicht automatisch lebenslange Sicherheit, und es macht auch nicht erst dann Sinn, zu kündigen, wenn man etwas Neues hat, wenn die eigene Psyche bis dahin: ruiniert ist.

In meinen Beratungen merke ich immer wieder, wie tief sich manche Sätze ins Gehirn meiner Klientinnen eingepflanzt haben. Oft denke ich mir dann: „Hä? Woher kommt das denn, das passt ja eigentlich gar nicht zu dieser coolen Person?“

Und dann fällt es mir wieder ein. Die Ängste, Bedenken und Sorgen sind übertragene Ängste, Bedenken und Sorgen der Eltern, die meinen Klientinnen auf ihrem heutigen Weg allerdings nur wenig bis gar nichts nützen. Wir leben nicht mehr 1990, eine Festanstellung bedeutet nicht automatisch lebenslange Sicherheit, und es macht auch nicht erst dann Sinn, zu kündigen, wenn man etwas Neues hat, wenn die eigene Psyche bis dahin: ruiniert ist.

Also, los geht’s! Lasst uns gemeinsam dekonstruieren.

Sei dankbar, dass du diesen Job bekommen hast!

Dankbarkeit. Puh, generell schwieriges Thema, wenn ihr mich fragt. Oder bin ich die Einzige, deren Eltern sich zu Weihnachten am liebsten einen hundertkiloschweren Sack Dankbarkeit gewünscht hätten?

Es ist irgendwie so ein Boomer-Ding, ständig von dieser Dankbarkeit zu labern. Dankbarkeit hier, Dankbarkeit da – als ob das, was wir im beruflichen Kontext bekommen, nicht mit unseren Fähigkeiten, Studienabschlüssen und Persönlichkeiten zu tun hätte, sondern mit purer Gutmütigkeit eines globalen Konzerns.

Wir müssen Demut zeigen, und dankbar sein, dass wir fortan 40 bis 50 h pro Woche außer Haus sind und für anderer Menschen Kapitalakkumulation arbeiten. Weiß nicht, Diggi.

Dankbar bin ich für eine schöne Zeit mit netten Leuten, dankbar bin ich für das Essen, das mir mein Freund kocht, dankbar bin ich, wenn die Sonne scheint. Ich bin dankbar, weil ich dafür keine direkte Gegenleistung erbringen muss. Also, Gegenfrage: Warum sollte ich dankbar für einen Job sein, der mir immens viel Kraft kostet und mich – im worst case – ins Burn-Out treibt? Think about it!  

Arbeitgeber brauchen uns. Wir sind keine Bittsteller mehr.

Kündige erst, wenn du etwas Neues hast!

Auch das typische Boomer-Mentality! Auszeiten, Sabbaticals und Kündigungen sind etwas für Schmarotzer, die ihren Shit nicht together haben – alle anderen gehen direkt von der Festanstellung eine Woche in den All-Inclusive-Urlaub und dann stracks wieder rein in die nächste Corporate-Hölle. So geht das dann bis zur Rente.

Was vergessen wird: Arbeitslosengeld existiert nicht umsonst. Wer in Deutschland in den letzten 30 Monaten, bevor er sich arbeitslos gemeldet hat, mindestens zwölf Monate sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, hat Anspruch auf ALG1. In der Regel beträgt das Arbeitslosengeld 60 Prozent des pauschalisierten Nettoentgelts. In Österreich muss man für die Beantragung des Arbeitslosengeldes in den letzten zwei Jahren 52 Wochen arbeitslosenversicherungspflichtig gearbeitet haben – dann beträgt der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes 55 % des Netto-Einkommens.

Also, gönn dir eine Auszeit, und schau dann, was dich wirklich interessiert. Sonst beginnt die Spirale von vorne.

Wir hätten uns XYZ früher nie getraut!

Dem Chef widersprechen? Eigene Meinungen in Meetings einbringen? Andere Träume haben, als für den Rest des Lebens einen Kredit aufs Reihenhaus abzubezahlen? Ja, Generationen vor uns haben sich vieles nicht getraut, was auch okay und verständlich ist. Wirft ihnen ja keiner vor!

Allerdings ist es meiner Meinung nach ziemlich unfair, Gen Y und Gen Z einen Strick daraus zu drehen, dass wir uns und unsere Gesundheit an erste Stelle setzen – und nicht den Arbeitgeber.

Wir trauen uns, Nachhaltigkeit am Arbeitsplatz einzufordern, wir trauen uns, die 4-Tage-Woche einzuführen, wir möchten ein Privatleben und Hobbies neben der Erwerbsarbeit und die Vereinbarkeit von Kindern und beruflicher Passion.

Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstitut Forsa im Auftrag des Karrierenetzwerks Xing sind die unter 30-Jährigen am stärksten davon überzeugt, dass sich die Viertagewoche in den nächsten fünf Jahren durchsetzen wird: Mehr als die Hälfte hält dies für ein realistisches und durchsetzbares Modell, insgesamt sind es 40 Prozent. Ähnlich sieht es in puncto ortsunabhängiges Arbeiten aus.

Ich finde, das ist ein Schritt in Richtung mehr Menschlichkeit. Lasst uns weiter mutig sein.

Eine Festanstellung bedeutet Sicherheit für den Rest des Lebens!

Das hat vielleicht einmal gestimmt, und klar sind ein regelmäßiges Einkommen, Sozialleistungen wie Krankenversicherung, Rentenbeiträge und manchmal auch zusätzliche Vorteile wie Weiterbildungsmöglichkeiten nice to have – ABER: Eine Festanstellung bedeutet heutzutage lange nicht mehr Sicherheit für den Rest (!) des Lebens. Talking about Rezessionen, Pandemien, Lay-Offs, technologischer Wandel und unternehmensinterne Umstrukturierungen, auf die mensch keinen Einfluss hat.

Bestes Beispiel: Während ich selbst vor neun Jahren bei einem Millennial-Magazin in Hamburg als Journalistin begann, ist diese Form des Journalismus inzwischen … ausgestorben. 10 Jahre später haben sich die Lese- und Nutzungsgewohnheiten meiner Zielgruppe radikal verändert, niemand liest mehr Gonzo-Reportagen aus dem Swinger-Club. So isses!

Was bedeutet das für dich? Eine Festanstellung kann Sicherheit für eine gewisse Zeit geben, sicherlich aber nicht mehr für den Rest des Lebens. Deshalb lohnt es sich auch meiner Meinung nicht, sich zu sehr an einen Arbeitgeber und die Corporate Identity zu gewöhnen. Such dir besser eine Persönlichkeit abseits deines Arbeitsplatzes, und Sicherheit in deinen Freundschaften und Beziehungen.

Welchen Satz deiner Eltern kannst du nicht mehr hören?

Von Bianca Jankovska

Bianca Jankovska ist Kommunikationswissenschaftlerin und Wirtschaftsjuristin by Abschluss, Autorin und Philosophin by heart. Sie ist Gründerin des Magazins Groschenphilosophin - das erste Mag zur politischen und psychosozialen Dimension von Social Media, Spätkapitalismus und Popkultur.