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Abschiedsmail an Kollegen senden: Warum es kein „richtig“ oder „falsch“ gibt

Dein offizieller Exit rückt näher, aber eine Sache schiebst du immer noch vor dir her? Richtig, wahrscheinlich handelt es sich um die berüchtigte „Abschiedsmail an Kollegen“.

Wir alle haben sie schon bekommen, in unterschiedlichsten Ausführungen. Von Steffen, der sich nochmal für die „tollen, gemeinsamen Jahre und spannenden Projekte“ bedanken wollte (*brech*). Oder Heike, die gleich ihre neue Stelle rausposaunt, damit auch jeder weiß, dass sie schon etwas Neues, viel Besseres hat. #Fomo

Was mich an den verschiedenen Abschiedsmails, die ich bisher konzernintern gelesen habe, am meisten gestört hat, war die fehlende Authentizität. Ja, manche Mails lasen sich so, als ob jemand eine Abschiedsbrief-Mustervorlage von Karrierebibel.de kopiert hätte.

Warte, hier ist sie:

Jede neue Herausforderung ist ein Tor zu neuen Erfahrungen. Das wusste schon der Dichter Ernst Ferstl – und es passt gut zu meiner beruflichen Zukunft. Um es kurz zu machen: Ich verlasse das Unternehmen am TT.MM.JJJJ.

Der Abschied fällt mir nicht leicht. Ich blicke zurück auf tolle Stunden, Tage, Jahre und gemeinsame Projekte, die mir viele wunderbare Erfahrungen und viel Energie gegeben haben. Besonders Projekt XY war damals ein enormer Erfolg – erinnert ihr euch noch?

Diese Zeit hat viele positive Spuren hinterlassen und dafür möchte ich mich bei euch herzlich bedanken. Auch noch mit einem Ausstand, zu dem ich noch einmal gesondert einladen werde.

Wer mit mir über die Zeit hinaus in Kontakt bleiben möchte (was mich freuen würde), der kann das gerne per Mail unter mein.name@privatmail.de.

Mit besten Wünschen für eure Zukunft
VORNAME NAME

JEDE NEUE HERAUSFORDERUNG IST EIN TOR ZU NEUEN ERFAHRUNGEN? Welcher Kalenderspruch-Generator kam denn bitte hier zum Einsatz? Nach so einer Abschiedsmail würde ich nur eines tun: die Mail löschen, und mich nie wieder bei der Person melden. Weil ich kein Vertrauen in eine zukünftige Beziehung auf Augenhöhe mit meinem Ex-Arbeitskollegen hätte.

Von mir werdet ihr so eine Vorlage hier garantiert nicht bekommen, denn das Schema X für Abschiedsmail gehört gelöscht und verboten. Was ich meinen Klienten stattdessen rate, ist, auf ihr Bauchgefühl zu hören.

Ja, ich weiß. In der alman’schen Büroleitkultur schickt es sich nicht, Gefühle zu zeigen. Und vielleicht sollten wir sie gerade deshalb mehr zum Vorschein bringen. Jeder weiß doch, dass hinter den „vielen gemeinsamen, tollen Jahren“ jede Menge Frust, Ärger und Streits mit dem Chef stecken. Sonst wäre eins nicht gegangen, oder? Zwinkersmiley.

Also, warum nicht sagen, wie es wirklich in einem drinnen aussieht – ohne gleich ausfallend zu werden?

  • Sagen, dass man sich schwer damit tat, zu gehen, weil eine Kündigungsprozess unterschiedliche Gefühle auslöst?  
  • Zugeben, dass der neue Lebensabschnitt zu gleichen Teilen Vorfreude und Angst auslöst, aber trotzdem genau das Richtige ist.
  • Zugeben, dass man sich auf die Auszeit mit den Kindern/Partner freut, und erstmal nicht auf der Suche ist – danke.
  • Sagen, dass man nichts Neues hat und erstmal reisen geht.
  • Zugeben, dass man erstmal Pause von der Branche braucht, sich aber gerne später auf Instagram connecten würde – und dann den eigenen Handle angibt.

Abschiedsmail an Kollegen senden: müssen alle Bescheid wissen?

Es ist übrigens auch völlig okay, die “pathetische” Abschiedsmail nur an seine fünf liebsten Kolleginnen zu senden und richtig auf die Tränendrüse zu drücken. Es ist okay, ihnen zu sagen, dass man sie vermissen wird. Dass man gerne an Erlebnis XYZ zurückdenkt. Dass man sich freuen würde, trotzdem gemeinsam After-Work zu machen. Vielleicht mal an einem anderen Ort, als der Bar neben der Firma.

Das Einzige, was ich nicht machen würde, wäre jemanden schriftlich zu diffamieren. Egal, wie groß der Schmerz ist, gegangen worden zu sein oder wie sehr der/dir narzisstische Boss den eigenen Selbstwert geschmälert hat: Solche Personen neigen dazu, diese Worte sehr, sehr ernst zu nehmen und ggf. sogar zur Polizei zu bringen – Stichwort: üble Nachrede. Also, dann doch lieber beim After-Work nochmal richtig ablästern.

In dem Sinne: Happy Abschiedsmail-Schreiben.

Du kannst das.

Übrigens: In meinem Buch „Potenziell furchtbare Tage“ (Haymon) schreibe ich über die Scham rund ums Thema Kündigen, und was wir gewinnen, wenn wir uns endlich trauen, zu gehen.
Wenn du 1:1 mit mir sprechen möchtest, buch dir am besten einen Call via Calendly.

Foto von Marcus Aurelius

Von Bianca Jankovska

Bianca Jankovska ist Kommunikationswissenschaftlerin und Wirtschaftsjuristin by Abschluss, Autorin und Philosophin by heart. Sie ist Gründerin des Magazins Groschenphilosophin - das erste Mag zur politischen und psychosozialen Dimension von Social Media, Spätkapitalismus und Popkultur.